Epitaph auf den Verlag Moritz Perles in Wien, 1869-1938[i]Aus Anlass des Todes seines Enkels, Paul S. Perles, am 9. Dezember 2001 in Northbrook, Illinois, U.S.A.Moritz Perles kam am 15. Dezember 1844 in Prag zur Welt. Sein Werdegang als Buchhändler ist in mehrfacher Hinsicht für die Geschichte des österreichischen Buchhandels dieser Zeit typisch. Er war überdies ungeheuer dynamisch. Die Wiener Unternehmensgründer des 19. Jahrhunderts waren großteils "Zugereiste", wobei viele von ihnen norddeutsche Protestanten waren, andere kamen aus Budapest, andere aus Prag in die Verlagsmetropole Wien. Der junge Moritz Perles lernte wie andere die Aversion der Buchhandelsvertretung wie auch der Gewerbebehörde gegen Neugründungen kennen, wenn es um die Erteilung von Konzessionen ging. Im Alter von bloß 24 Jahren und nach der Absolvierung einer Buchhändlerlehre (also der gesetzlich vorgeschriebenen 'Befähigung') in den Buchhandlungen J. Schalek in Prag (1858-62), J. Bensheimer in Mannheim (1862-1864) sowie der Beck'schen Universitätsbuchhandlung in Wien (1865-1869), suchte er 1868 um eine Konzession an .Das Ansuchen wurde "wegen Überfüllung Wiens mit derlei Gewerbe" abgelehnt. Tatsache ist, dass es zu dieser Zeit in Wien etwa 159 verschiedene Buchhandelsfirmen gab. Doch Perles gab sich nicht geschlagen, er legte Berufung beim Ministerium für Inneres ein und war damit erfolgreich. Am 15. März 1869 konnte er seine eigene "Buch- und Kunsthandlung" in der Steindelgasse 2 im 1. Bezirk eröffnen. In seiner damals üblichen Anzeige in der Österreichisch-ungarischen Buchhändler-Correspondenz konnte man lesen: "Durch mehr als 6 Jahre habe ich eine erste Stelle in der Beck'schen Universitätsbuchhandlung innegehabt und mir sowohl dort, als durch Herausgabe meines seit 4 Jahre erscheinenden 'Adressbuch für den österreichischen Buchhandel' eine so genaue Kenntnis der bezüglichen Verhältnisse angeeignet, dass ich nebst der Pflege meines Sortiments ganz besonders bestrebt sein werde, den Verkehr deutscher und ausländischer Verleger mit dem österreichischen Buchhandel zu vermitteln und im Interesse beider Theile zu heben und zu erleichtern." Das Adressbuch, ein für die gesamte Verlagsbranche der Habsburger-Monarchie so unerhört wichtige Publikation und für Buchhandelsforscher von heute unentbehrliche Nachschlagewerk, sollte noch bis zur 60. Folge im Jahr 1937 erscheinen. Der Wiener Auslieferungslager und die Vertretung zahlreicher deutscher Verlage für die gesamte österr.-ungar. Monarchie wurde kontinuierlich von Perles gepflegt und sukzessive ausgebaut und so blieb diese Sparte ein wichtiges Standbein des Unternehmens. Bereits wenige Monate nach seiner Eröffnung wurde das Geschäftslokal in der Steindelgasse zu klein, sodass die Firma in die Spiegelgasse 17 in größere Räumlichkeiten übersiedelte. Dies sollte nicht die letzte Übersiedlung sein. 1889 bezog das Unternehmen das eigene - und letzte - Haus in der Seilergasse 4, ebenfalls im 1. Bezirk. Schon zur Zeit der Gründung drängte Moritz Perles auf Expansion: in der sicheren Erwartung eines enormen Absatzmarkts und mit relativ wenig Konkurrenz (Fromme und Steinbrener wären hier zu nennen) etablierte Perles auch noch einen Kalenderverlag. Als erstes Produkt in einer schier unüberblickbaren Palette von Kalendertypen, die bei ihm noch erscheinen würden, kam der Juristenkalender für 1870 heraus. 1889 nannte sich Perles in Anzeigen "Größter österreichischer Kalenderverlag". In einer Annonce aus dem Jahr 1889 heißt es: "Hundertundvierundzwanzig Kalender pro 1890 in über 300 Ausgaben für alle Stände und Bedarfsfälle". Ja, Perles hatte sich nicht nur den deutschsprachigen Markt gesichert. "Insbesondere mache ich aufmerksam auf meine Portemonnaie-Kalender in deutscher, ungarischer, polnischer, italienischer und böhmischer Sprache, auf meine Blockkalendersorten in 15 verschiedenen Grössen und Ausgaben, auf meine Fach-, Volks- und Auskunftskalender." Für wen alle und für welchen Anlass es einen Kalender gegeben hat, da kannte die Phantasie keine Grenzen.
"Zu unserem Entsetzen ist Richard Hollinek im Verlag mit lautem 'Heil Hitler' und gehobenem Arm erschienen und wir wurden zu seinem neuen Nazi-Partei-Anwalt vorgeladen. Dort wurde uns ein Schreiben zum Unterzeichnen vorgelegt, demzufolge die Wiener Medizinische Wochenschrift an Hollinek gegen Auflassung der offenen Rechnungen übergeben wird. Es wurde uns gesagt, falls die Inhaber (mein Vater und Onkel) nicht unterschreiben, wird die Zeitschrift von der Partei sofort eingestellt und nächste Woche von Hollinek mit andersfarbigem Umschlag aufgelegt. Ich selbst sollte mich verpflichten, ohne Entgelt den Hollineks für mehrere Wochen zu zeigen, wie man die Zeitschrift führt. Wenn (sc. Als) ich fragte, was geschieht, wenn ich mich weigere, hat Hollinek gesagt, da wird es schon Mittel geben, Sie zu überreden. Eine offensichtliche Drohung mit Roßauerkaserne und Konzentrationslager. Unter den Umständen habe ich Sklavenarbeit gemacht. (...) Der Betrag, den Hollinek storniert hat, war natürlich unter normalen Umständen vollständig unannehmbar, aber was konnten Leute ohne jeden Rechtsstand tun?" Der Augenzeuge erklärte sich zudem bereit, vor Gericht "unter Eid zu wiederholen, was diese Zeilen sagen". Und das hat er auch getan. Vierzig Jahre später - 1986 - wurde das alles von der anderen Seite beschönigt und in Abrede gestellt. Ein Blick auf die am 22. März 1938 festgelegten und im Geschäftsleben vollkommen unüblichen Bedingungen der Gesellschaftsbuchdruckerei Brüder Hollinek lohnt sich: "Herr Paul Perles hat über unser Verlangen durch mindestens vier Wochen unentgeltlich uns mit der Verwaltung der Zeitschrift betrautes Organ nach bestem Wissen und Gewissen einzuführen, ebenso hat der bisherige Redakteur (Dr. Adolf Kronfeld, 1861-1938) durch einen gleichen Zeitraum dem neuen Redakteur oder dessen Hilfskräften ohne Anspruch auf ein Honorar zur Verfügung zu stehen. Heil Hitler!" Oskar Perles hatte weniger Glück. Während seine Firma ausgeraubt und geplündert wurde, musste er obendrein diese Aktion finanzieren. Die bürokratische Prozedur mit der Auflösung der Firma hielt ihn in Wien fest. Sein Schicksal wird von Paul Perles nur knapp vermerkt: "My father was still denied an exit visa by the Nazis. The affairs of the 'Verlagsbuchhandlung' were liquidated by an agent of the Nazi authorities and my father was prohibited access to the premises. (…) My dear father's life was ended in a concentration camp in 1943. The Nazis had not allowed him to leave Vienna even when England and America had documented their readiness to take him in." Im Bedenk- und Gedenkjahr 1986 scheute sich die Wiener Medizinische Wochenschrift bzw. deren Drucker nicht, ihre Darstellung nochmals zu wiederholen. Im Jg. 136, Heft 7/8, stand zu lesen: "Weder materielle Überlegungen noch persönlicher Ehrgeiz sind es gewesen, die die WMW über die Stürme der Zeit hinweg gerettet haben, sondern allein die Achtung und Verantwortung gegenüber der Medizingeschichte und dem Publikationsbedarf der österreichischen Medizin." Für diesen hehren Ruhm blieb der "geschädigte Eigentümer" Oskar Perles auf der Strecke. Er ging nicht in die Medizingeschichte ein, er ging - siehe "Stürme der Zeit" - im KZ zugrunde, im Vernichtungslager Izbica. Todesjahr: 1942. 1972 feierte die Druckerei Brüder Hollinek ihr 100jähriges Bestehen mit einer Festschrift. Da liest man in etwas holprigem Deutsch: "Die Übernahme dieses hochangesehenen fachwissenschaftlichen Organs stellte auch eine Weiche für die Zukunft, insofern nämlich seit diesem Zeitpunkt die Druckerei und später auch der Verlag Hollinek ein besonderes Augenmerk der Sparte Medizin widmen sollte." Die Opfer konnten der Sparte Medizin kein besonderes Augenmerk mehr widmen. Viele von ihnen kamen in Konzentrationslagern um.
"In 1930, I returned to Vienna, reasonably fluent in the English and French languages and my horizon of the world greatly widened. Professionally, I had established familiarity with the German, English and French book industries as I entered Verlagsbuchhandlung Moritz Perles. There was a remodeled bookstore at the street level of Vienna 1, Seilergasse 4, with publishing offices on the first floor and representation of provincial booksellers and distribution of other publishers' books on the second floor. Initially, I had no specific assignment and worked in all three departments where needed." Am 3. Februar 1938 heiratete er in Wien Hedwig (Hedi) Rosenbaum, eine Berufsphotographin. "Like very many Austrian Jews, my family did not exercise their religion, although our wedding ceremony had taken place in a temple." Über die Ereignisse am 22. März schreibt Paul Perles, ohne den Firmennamen zu nennen: "My father and I were at special risk for the 'WMW' had recently published an article by a professor of the Vienna medical faculty that negated the underpinnings of Hitler's theory of the 'Master Race' and had been widely distributed in Germany by the underground. It soon became clear that one or two of our employees had been underground Nazis for some time. Our principal printer and printer of the 'WMW' appeared after a few days in the publishing offices but instead of his usual courteous greeting "my compliments", he shouted "Heil Hitler" and raised his right arm in Nazi fashion as he walked through the door." Im folgenden berichtet Paul Perles die Vorfälle bei der Übernahme durch Hollinek wie vor Gericht im Jahre 1986. Daß Paul Perles und seine Frau für England ein Visum erhielten - sie als Hausgehilfin, er als Besucher - ist der Tatsache zu verdanken, dass seine ältere Schwester Marianne einen Engländer geheiratet hatte. Doch davor hatten sie im judenfeindlichen Wien einiges zu überstehen. "I had been kidnapped twice from the street by uniformed SA thugs; I could be easily spotted as non-Aryan for I did not wear the ubiquitous swastika emblem in the lapel of my coat. So far I had been released after several hours of scrubbing floors in a building the Nazis wished to occupy. I might not be as lucky next time." Nachdem sie die Schiffahrt von Southampton nach New York gebucht
hatten, verließen sie Wien am 12. August 1938 an Bord eines niederländischen
Flugzeugs nach England. Am 22. Oktober ging es per Schiff nach Amerika, 9 Tage
später waren Paul Perles und seine Frau in New York. Angebote in England,
in der Verlagsbranche zu arbeiten, schlug Paul Perles aus. [i] Die Firma Moritz Perles in Wien ist Gegenstand einer
von Daniela Punkl am Institut für Germanistik in Wien kürzlich abgeschlossenen
und vom Verf. betreuten Diplomarbeit: Verlag Moritz Perles, k.u.k. Hofbuchhandlung
in Wien. Meine Ausführungen basieren zum Teil auf Ergebnissen dieser Arbeit.
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