PARISER AUSSTELLUNG ZU EHREN MARTIN FLINKERS. EIN VORBERICHT


Katalogumschlag. Klick zum Vergrössern

Im Dezember eröffnet im Jüdischen Museum in Paris eine dem 1986 verstorbenen emigrierten Wiener Buchhändler Martin Flinker gewidmete Ausstellung.

Geboren ist Dr. Martin Flinker am 18. Juli 1895 in Czernowitz im Osten der Habsburger Monarchie. Er promovierte zum Dr.jur. an der Universität Wien und lernte darauf den Buchhandel beim legendären Hugo Heller am Wiener Bauernmarkt. Nach dem Tod Hugo Hellers im November 1923 ging die Firma in die BUKUM AG (vormals Hugo Heller & Cie.) auf. Doch Mitte der 20er Jahre steckte die Firma in finanziellen Schwierigkeiten und manche Geschäftsbereiche mussten abgestoßen werden. In die Zeit, als Flinker in der BUKUM AG beschäftigt war, fiel seine erste Herausgebertätigkeit. Unter seiner Ägide erschien 1929 Fünfundzwanzig Jahre Bukum. Literarischer Festalmanach auf das Jahr 1930. Bereits im nächsten Jahr machte er sich selbständig. Laut Adreßbuch des österreichischen Buchhandels gründete er am 12. März 1931 eine Sortimentsbuchhandlung "am Kärntnertor" in der Wiedner Hauptstraße 2 im 4. Wiener Gemeindebezirk und war auf den Handel mit moderner Literatur spezialisiert. 1933 musste sein früherer Arbeitgeber, die BUKUM AG, den Ausgleich anmelden.
Für österreichische Autoren in der zweiten Hälfte der 30er Jahre war die Buchhandlung Flinkers in Wien so etwas wie ein Stelldichein. Flinker erzählte des öfteren von seiner engen Freundschaft mit Thomas Mann, so etwa anlässlich einer kurzen Rede, die er im Mai 1980 in Wien vor dem Auslandsösterreicherwerk hielt. Anlässlich der Verleihung der Ehrenmedaille des Deutschen Buchhandels im Jahre 1977 sagte er:

"In Wien waren Musil und Hermann Broch fast jede Woche bei mir. Musil besprach sogar mit mir seinen damals noch im Werden begriffenen 'Mann ohne Eigenschaften', und Broch sagte mir, dass Beruf und Berufung bei einem Buchhändler zusammenfallen müssten. Das sei bei mir der Fall."

Daher seine "tiefste Überzeugung":

"Der Buchhandel ist kein Beruf wie irgendein anderer, der Buchhandel kann nicht nur erlernt werden, man muss zum Buchhändler geboren sein, wie man zum Künstler geboren sein muss, zum Musiker oder Maler."

Bereits 1933 gab Flinker seinen ersten Almanach in Eigenregie heraus: Dr. Martin Flinker's Ratgeber für Bücherfreunde. Eine Auswahl der besten Bücher des Jahres 1933. In den Jahren 1934, 1935, 1936/37 sowie 1938 erschienen unter wechselndem Titel weitere solche Almanache, in denen prominente zeitgenössische Schriftsteller wie etwa Musil und Broch zu diversen Themen und Fragen Stellung nahmen. So sind seine Almanache und Literarischen Ratgeber für Germanisten und Buchforscher heute noch von Interesse. Musil soll in Flinkers Buchhandlung Mitte der 30er Jahre einmal gesagt haben:

"Wenn man Ihre Auslage ansieht, so ist dies ein Überblick der modernen Literatur, denn bei Ihnen sieht man alle wichtigen Neuerscheinungen. So wie Sie das machen, lässt sich immer auch Ihr persönliches Urteil durchblicken."

Bessere Werbung konnte man sich nicht wünschen.


Als Österreich im März 1938 an das Deutsche Reich angeschlossen wurde, waren die Tage des "jüdischen" Buchhändlers Flinker gezählt, und er wusste, dass die einzige Möglichkeit darin bestand, das Geschäft rasch zu verkaufen. Einen "Kaufwerber" in spe hatte er bereits. Es war sein Gehilfe, der knapp 20 Jahre alte Franz Lazansky. Auf Grund eines mündlichen Vertrags vom 19. Mai 1938 verkaufte Flinker seine Buchhandlung "unter Vorbehalt der Genehmigung durch die Vermögensverkehrsstelle" (das war die neuerrichtete Institution, die für die "Entjudung" der österreichischen Wirtschaft verantwortlich war) an Lazansky für eine Summe von RM 2.666.67. Das war weniger als ein Drittel des von Flinker errechneten Verkehrswerts des Betriebsvermögens. Doch er wusste, dass selbst bei einem Verkauf des Ladens in Bausch und Bogen im Liquidationswege bestenfalls RM 3.000 zu holen gewesen wären. Doch der selbsternannte Kommissarische Leiter des österreichischen Buchhandels nach dem "Anschluss", Pg. Karl Berger, legte sich quer. Berger war immer der festen Meinung gewesen, der Wiener Buchhandel wäre dank der, wie er meinte, im Ständestaat unkontrollierten Verleihung von Konzessionen (selbstredend an Juden) stark überbesetzt. Und damit waren praktisch auch der Vermögensverkehrsstelle die Hände gebunden. In einem Schreiben Bergers an den Rechtsanwalt des Kaufwerbers vom 10. Juni sieht sich der Kommissarische Leiter außerstande, "die Übertragung der Konzession des Herrn Dr. Martin Flinker auf Ihren Klienten [Franz Lazansky] zu befürworten. Maßgebend für unsere Stellungnahme ist der Umstand, dass die Wettbewerbsverhältnisse im Umkreis des Unternehmens die Arisierung nicht zulassen. Ist es doch möglich, dass die Buchhandlungen Richard Lányi, Wien I, Kärntnerstraße 44, und Alois Reichmann, Wien IV, Wiedner Hauptstraße 18, in arische Hände übergeleitet werden. Bei diesen Betrieben handelt es sich um eingeführte Buchhandlungen, die für eine Arisierung eher in Betracht kommen konnten, während die Buchhandlung Dr. Martin Flinker erst in der Nachkriegszeit entstanden ist. Dass diese Buchhandlungen zusammen mit den bestehenden arischen Geschäften des Umkreises reichlich den Bücherbedarf in ihrem Umkreis decken können, braucht wohl nicht erst bewiesen werden." Lazansky gab nicht auf: über seinen Anwalt legte er eine Woche später Berufung ein und versuchte dabei klarzumachen, dass Lányi und Reichmann - beide wurden vom selben brutalen Ariseur Johannes Katzler "erworben" - einen ganz anderen Kundenkreis hätten. Flinker sei "immer nur mit dem Handel moderner Literatur" befasst. Nicht einmal der zeitübliche Hinweis des jungen Buchhändlers, er sei, laut politischem Gutachten der örtlichen Kreisleitung, "immer einwandfrei nationalsozialistisch gesinnt" nützte etwas. Der Leiter der VVSt argumentierte Lazansky gegenüber, dass eine "Vorgenehmigung" der sogenannten Zwangsgilde der österreichischen Buchhändler leider notwendig sei, und diese war nicht bereit, ihre Meinung zu revidieren. Selbst der kommissarische Bezirksvorsteher des 4. Bezirks wurde bemüht. Der VVSt teilte er mit, "zur Kenntnis zu nehmen, dass ich gegen diese Arisierung eine Einwendung nicht erhebe". Flinker wartete das Ende des aussichtslosen Arisierungsverfahrens nicht ab. Er floh mit seinem Sohn über die Schweiz nach Paris. In einem Schreiben aus Paris teilte er der VVSt mit: "Ich bin sodann am 3. Juni 1938 unter Beobachtung aller gesetzlichen Vorschriften ausgewandert und halte mich dzt. In Paris auf." Ein Inventar des Bücherlagers zeigt, dass er 4.808 Stück Bücher zurückließ. Ein "Erhebungsbogen über die jüdische Firma" Ende Oktober 1939 vermerkt lapidar: "nur leeres Lokal mehr vorhanden". Eine Entschädigung bekam Flinker nicht. Es sollte mehr als 40 Jahre dauern, bevor Martin Flinker zum ersten Mal nach dem Krieg den Wiener Boden berührte. In einer kurzen Rede, gehalten vor dem Auslandsösterreicherwerk im Mai 1980 meinte er:

"Ich habe von meinem Fenster in der Babenbergerstraße die schrecklichen antisemitischen Exzesse der Wiener mitansehen können, gesehen wie Männer und Frauen geschlagen und gedemütigt wurden, viele meiner Freunde haben Selbstmord verübt, ich selbst habe mich mit meinem damals 14jährigen Sohn wie durch ein Wunder rechtzeitig retten können, habe aber alles verloren, die ganze Habe eines arbeitsreichen Lebens ...".

Am 10. Juni 1940, als sich die deutschen Truppen vor der französischen Hauptstadt sammelten, wurde Paris zur offenen Stadt erklärt. Wenige Tage, nachdem Deutschland und Frankreich einen Waffenstillstand unterzeichneten, waren Martin Flinker und sein Sohn bereits in Südspanien, in der Hafenstadt Algeciras in der Provinz Cadiz. Wir wissen, dass er am 27. Juni 1940 eine Genehmigung erhielt zum "freien Geleit" mit einer Fähre nach Ceuta bzw. Tétouan an der Straße von Gibraltar im Norden Marokkos. Von dort reiste er nach Tanger, bekannt als das "Tor Afrikas". Während des Zweiten Weltkriegs war Tanger Zufluchtsstätte von Exilanten verschiedenster Couleur und auch Operationsbasis von amerikanischen Militärs, von Nachrichtendiensten der Alliierten usw. usf. Tanger hatte ja einen Sonderstatus und war seit 1923 eine "internationale Zone". Hier verbrachte Flinker sein Leben bis Kriegsende.

Ende 1945 oder Anfang 1946 kehrte Flinker nach Paris zurück. Er borgte Geld von einem gewissen Monsieur Chavaneau aus, um eine bestehende Buchhandlung am Quai des Orfèvres zu kaufen. Hier gründete er eine deutsch-französische Buchhandlung - die Librairie Martin Flinker - die in Frankreich zu einer Institution wurde. Um Hans Scherer zu zitieren:

"Seine Buchhandlung wurde zu einem Treffpunkt der Literaten, zu einer Wallfahrtsstätte der Germanistikstudenten, zu einer Vertretung deutschen Geistes in Paris."

Wie zuvor in Wien gab er auch in Paris Almanache (z.B. Almanach 1961) heraus und publizierte einige Essays und Bücher, darunter Der Gottsucher bei de Lange (1949), die Festschrift Hommage de la France à Thomas Mann zum 80. Geburtstag des Dichters sowie Thomas Mann's politische Betrachtungen im Lichte der heutigen Zeit (1959).
Im Laufe seiner Karriere nach dem Krieg wurde Flinker mehrere Ehren zuteil, so wurde er 1972 zum chevalier de la Légion d'Honneur ernannt und 1977 wurde ihm die Ehrenmedaille des Börsenvereins des deutschen Buchhandels überreicht. Im Jahre 1979 bekam er das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich. Er starb fast 91jährig in Paris am 21. Juni 1986.

Die von Isabelle Pleskoff von der Bibliothek des Musée d'art et d'histoire du Judaisme in Paris gestaltete Ausstellung wird am 17. Dezember 2001 eröffnet und drei Monate lang zu sehen sein. Zu den vielen Exponaten gehören eine Auswahl von Büchern aus dem Privatbesitz Flinkers, eine illustrierte Biographie Flinkers, Lebensdokumente, Fotos, Briefe, Zeugnisse von Weggefährten und Kollegen u.a. Zur Ausstellung wird ein Katalog erscheinen.

Der Nachlass Martin Flinkers ("Librairie allemande Martin Flinker") befindet sich im IMEC (Institut Mémoires de L'Édition Contemporaine, 9 rue Bleue, F-75009 Paris). ; E-Mail: bibliotheque@imec-archives.com. Das IMEC wurde Ende 1988 gegründet, verwahrt eine Vielzahl von buchhandelsgeschichtlich interessanten Nachlässen und Sammlungen von Verlegern, Schriftstellern, Literaturagenten, Buchhändlern, Journalisten, Kritikern, Druckern und Graphikern und ist heute eines der wichtigsten Zentren für die Erforschung des Verlags- und Buchwesens. Eine ähnliche Einrichtung für bzw. in Österreich wäre wünschenswert!

(In: Mitteilungen der Gesellschaft für Buchforschung in Österreich. 2001-1, S. 25-28.)

Anmerkung: Die offizielle Eröffnung fand erst am 16. Jänner 2002 statt. Die Ausstellung war bis 5. Mai 2002 geöffnet.

 

Imec : Institut Mémoires de l'édition contemporaine

Gesellschaft für Buchforschung in Österreich

letztes Update: 21.06.2002